Winterzeit – Velozeit? Eine Erfahrung mehr
Ein milder schneearmer Winter wie dieses Jahr fordert geradezu heraus, als Velofahrerin auch diese Jahreszeit zu entdecken. Wieso nicht regelmässig eine kurze Tour durch die Landschaft machen? Ein Meilenstein auf dem weiteren Velo-Werdegang. Im Winter nimmst du die Umwelt ganz anders wahr und fragst dich plötzlich, wie das eigentlich so ist mit der Kälte, dem Atem, dem Fahrtwind….
Im Sommer ist alles klar – das habe ich von der Pike auf gelernt. Leichtes Tenue, am morgen früh vielleicht noch Armlinge und Beinlinge und die ultraleichte Windjacke für den Wetterumbruch immer mit dabei. Aber im Winter? Da ist eine etwas andere „Wärmeklasse“ gefragt. Wichtig ist das Zwiebelprinzip: mehrere Schichten halten schön warm und sind – richtig kombiniert – atmungsaktiv, kälte- und windabweisend. Aber es gilt: so viele Sportler – so viele Individuen. Es gibt kein allgemein gültiges Rezept der Bekleidung. Die Erfahrungen muss man selber machen.
Ein Anfang ist gemacht! Eine Ausfahrt von 45-60 Minuten im Winter bei trockener Witterung, guten Strassenverhältnissen und Temperaturen nicht unter Null Grad.
Auf dem Velo bei strahlendem Winterwetter! Welch‘ einmaliges Gefühl. Da spürst du deinen Körper und die klimatischen Elemente ganz anders als im Sommer. Und plötzlich willst du mehr davon und mehr darüber wissen…
Atem: Die Differenz zwischen „Aussen- und Innentemperatur“ ist markant. Grundsätzlich atme ich durch die Nase, das trocknet den Mund nicht aus. Ich passe die körperliche Belastung so an, dass ich noch genügend Luft durch die Nase bekomme. Die Luft gelangt bei Nasenatmung erwärmt, gereinigt und angefeuchtet in die Lunge. Das ist natürlich ein optimaler Zustand, gelingt aber nicht immer. Man sollte im Winter wegen der kalten Luft nicht mehr als zwei Stunden fahren.
Hast du das gewusst? – ungefähr 80% aller Menschen atmen nur durch ein Nasenloch, mal durchs linke, mal durchs rechte. Wieso, hat man noch nicht herausgefunden.
Fahrtwind/Gefühlte Temperatur: Der Fahrtwind kühlt die Körpertemperatur ab. Die Temperatur fühlt sich subjektiv kälter an als sie ist. Man spricht von „Gefühlter Temperatur“. Meteo Schweiz dazu:
„Vor allem bei tieferen Temperaturen und höheren Windgeschwindigkeiten entsteht eine effektive Empfindungstemperatur, die weit unter der gemessenen Lufttemperatur liegen kann. Die Haut empfindet eine bestimmte Temperatur als kälter als sie effektiv ist, je stärker der Wind geht, da über unsere Haut bei windigen Verhältnissen mehr Energie verloren geht, als durch den Körper wieder zur Verfügung gestellt werden kann.“
Unsere Wintertour führt entlang einem Waldstück, durch ein Schattenloch. Es hat etwas abweisendes und tristes. Ich verspüre unmitttelbar beim Eintauchen in dieses Teilstück – ca. 2 Kilometer – eine raue Kälte. Sie macht sich sofort im Gesicht breit und holt nach und nach die Wärme aus meinem Körper. Im Sommer ist so eine Strecke bei Hitze ein Hochgenuss. Trotzdem liebe ich gerade dieses schattige Täli besonders im Winter. Nicht zuletzt, weil ich weiss: am Ende winkt die Sonne!
Schatten/Sonne: Im Winter steht die Sonne tiefer. Die Lichtwechsel sind kontrastreicher. Das Auge muss sich zuerst daran gewöhnen. Auf unserer Tour geht es weiter aus dem Schatten hinaus in die Sonne auf die lange Gerade bis zum Serpentinenanstieg. Die Wärme fliesst durch meinen Körper, jede Faser saugt sie auf – Glücksmomente! Diese Gefühle sind schwer zu beschreiben. Geht es euch auch so?
Schwitzen und Abkühlen: Auf dem E-Bike ist Schwitzen sicher weniger ein Thema als beim Rennradfahren und Biken. Trotzdem gilt allgemein: bist du längere Zeit in Bewegung, steigt die Körperwärme – du beginnst zu schwitzen. Auf unserer Tour geht es nun in die längere Serpentine, da merkt man das besonders gut. In der folgenden Abfahrt bläst der Fahrtwind tüchtig um die Ohren – und ein Frösteln stellt sich ein. Im Winter sollte man eine Tour ohne Pause durchfahren. Die Kleider sind verschwitzt, der Körper ausgekühlt. Niemand möchte da nach einem Halt nochmals in die Kälte raus. Willst du aber am Ende der Ausfahrt noch Kaffee und Kuchen geniessen, dann gehört immer ein Wechsel-Shirt oder ein warmes Kleidungsstück ins Gepäck.
Fazit
Das Velofahren im Winter hat seine eigene Faszination. Die Landschaft erscheint in einem ganz anderen Licht. Bei schönem, klarem Wetter ist das Blau des Himmels viel satter und intensiver. Die Natur ruht, die Farben sind eintöniger – es ist alles viel ruhiger. Warm angezogen durch die Landschaft radeln, das Wetter und den Körper spüren – da ist der Alltag weit weg.
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LESE-TIPP
Robert. H. Haraldsson, Philosophieprofessor an der Universität von Island, beschreibt in seinem Essay «Philosophische Lektionen vom Radfahren in der Stadt und auf dem Land», welche Lektionen er dabei gelernt hat. Es sind handfeste pragmatische Erfahrungen und philosophische Betrachtungsweisen.
Verlag Suhrkamp: Die Philosophie des Radfahrens, 15 Erfahrungsberichte