Die Angst der Anfängerin vor dem Tag X
Irgendwann kommt der Tag X. Nun gibt es kein Üben mehr auf dem Schulhausplatz, dem Parkplatz, den beinahe verkehrsfreien Quartierstrassen. Die Technik sitzt: Aufsteigen, Anfahren, Bremsen, Absteigen. Worauf noch warten? Zeit für die erste längere Tour. Es führt kein Weg daran vorbei, wenn eine Weiterentwicklung geschehen soll.
„Wer kommt mit? DIE ANGST FÄHRT MIT!“
Ich weiss nicht, ob ihr euch noch an eure erste Tour erinnern könnt – vielleicht liegt dieser Zeitpunkt auch schon zu weit zurück. Auch ich habe seit diesem denkwürdigen Tag schon einige Kilometer hinter mir und Erfahrungen gesammelt. Allerdings habe ich festgestellt, dass sich die Angst- und Stresssymptome mit jedem weiteren Anforderungslevel wiederholen.
Michael Balint, ein ungarischer Psychoanalytiker, hat die „Angstlust“ geprägt. Sie bezeichnet eine zwiespältige Gefühlslage. Aus der ängstlichen Spannung und dem erfolgreichen Bewältigen der Situation entsteht ein positives Erlebnis, eine Lust. Dieser Ausdruck beschreibt perfekt meine Ambivalenz:
- Freude, das Gelernte anzuwenden und über den gewohnten Radius und über die eigenen Grenzen hinaus zu fahren.
- Angst (wer spricht schon gerne darüber!) vor der Herausforderung, vor dem Misserfolg.
Als das Datum feststand, überkam mich ein plötzliches Ausweichverhalten – ich wollte vor dem Tag X kneifen. Ich hoffte, dass etwas dazwischen kommt (schlechtes Wetter, Unwohlsein, berufliche Verhinderung) und ich mich dem „Drachen der Herausforderung“ nicht stellen muss. Pech gehabt!
Welche Sicherheit brauchte ich?
- Die Strecke muss inbezug auf Distanz und Schwierigkeitsgrad stimmen. Gerade am Anfang ist es wichtig, ein Erfolgserlebnis zu haben, auf dem aufgebaut werden kann. Das gibt Motivation! Ein Wochentag eignet sich besser für das Vorhaben als ein Wochenende mit viel Ausflugsverkehr.
- Es braucht einen Trainer oder Tourenleiter, der mich einschätzen kann und die richtige Balance zwischen Gefordertsein und Überforderung findet. Ich muss Vertrauen haben zu ihm.
- Er sollte die kritischen Stellen kennen und mich vorgängig briefen. Aber es gibt keine vollständige Sicherheit: trotz Rekognoszierung kann es plötzlich Baustellen, Schlaglöcher oder Umfahrungen geben.
- Die Organisation rund um die Tour sollte gewährleistet sein. Dazu gehört der Sicherheitscheck des Velos, der Transport zum Ausgangsort, mögliche Verpflegungspunkte.
Die Unterstützung von aussen ist unbezahlbar. Die Anfängerin kann sich auf sich selber konzentrieren. Das heisst aber nicht, alle Verantwortung zu delegieren.
Wie ist der Umgang mit Angst und Stress?
Besonders der Umgang mit Angst und Stress ist sehr individuell. Die Symptome – Nervosität, Unruhe, Herzklopfen, Schwitzen, Harn- oder Stuhldrang – sind je nach Typ unterschiedlich. Klar gibt es viele mentale Techniken, aber die kommen erst später bewusst zum Einsatz. Im Anfängerstadium vermindert eine strukturierte Vorbereitung die Aufregung. Man darf aber nicht vergessen, dass eine gewisse Anspannung sein muss, um im entscheidenden Moment die Leistung abzurufen.
Was kann ich selber zu einer guten Vorbereitung beitragen?
- Ich lege alles, was ich brauche, schon am Vorabend bereit. So kommt am Morgen keine Hektik auf bei der Suche nach der Ausrüstung. Lies dazu die Blogartikel „5 Tipps für die erste Passfahrt“ und „Veloshirt mit Taschen“. Wichtiger Tipp: Schaffe dir eine Sporttasche an, die ausschliesslich für das Velofahren geeignet ist. Darin versorgst du alle Utensilien, die du nach der Tour benötigst (Handtuch, Necessaire, Ersatztrikot, Faserpelz etc.).
- Ich halte vor dem grossen Tag am Abend die Agenda frei und bin für keine spontanen Aktionen zu haben.
- Ein kohlenhydratreiches Nachtessen (am besten Teigwaren oder Reis) zu einem frühen Zeitpunkt füllt die Glykogenspeicher und liegt im Magen nicht auf.
- Ausreichend Schlaf vor anforderungsreichen Terminen ist wichtig. Ich brauche 8 Stunden für eine gute Leistungsfähigkeit. Gegen Schwierigkeiten beim Einschlafen hilft ein beruhigender Tee wie Baldrian, Johanniskraut, Kamille oder das alte Hausmittel Milch mit Honig. Die Dunkelheit im Zimmer fördert die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin.
- Am Morgen stehe ich frühzeitig auf und lasse mir Zeit für das Frühstück.
- Sofern ich die Details der Route kenne, präge ich sie mir nochmals ein.
Möchtet ihr wissen, wohin die Reise ging? In die Umgebung von Arbon. Im Thurgau hat es viele flache Velowege durch eine wunderbare Natur. Es waren knapp 30 Kilometer. Mit Ausnahme eines kurzen saftigen Aufstieges, bei dem ich absteigen musste, ging alles gut.
FAZIT
ICH WAR UNGLAUBLICH MÜDE – ABER AUCH UNGLAUBLICH GLÜCKLICH !